"El Mirn" im Paradies

Jahresbilanzen 2005 - Teil 19: Marco Mirnegg über sein neues Trainingsumfeld, seine Begegnung mit Rod Laver und warum er in St. Pölten lieber nicht gegen Jürgen Melzer gespielt hätte.

Marco, du verweilst derzeit in Barcelona? Trainierst du etwa schon fleißig fürs nächste Jahr?
Ja, stimmt, ich bin jetzt schon seit dem 1. Dezember hier in der PRO-AB Tennisakademie Sant Gervasio und werd’ noch bis zum 22. bleiben, in erster Linie für Fitness, in zweiter für Schlagtraining.

Und wie sind die Verhältnisse vor Ort?
Perfekt! Wir haben hier auf der Anlage insgesamt 17 Sandplätze, dazu noch zwei Hardcourts und jede Menge andere Möglichkeiten. Zur Verfügung stehen uns drei Tennistrainer, ein Fitnesscoach und ein Physiotherapeut. Ich fühl’ mich hier einfach wie im Paradies, auch wenn’s teilweise nur zwei Grad hatte und wir trotzdem draußen spielen mussten.

Wer ist "wir"?
Eine etwa zehn Mann starke Trainingsgruppe.

Und wer ist da dabei?
Zum Beispiel mit Oscar Hernandez und Juan Antonio Marin zwei sehr starke Leute am Sprung unter die Top 100. Dann sind auch noch Gabriel Trujillo-Soler (Anm. ATP 381), Lovro Zovko (ATP 475) und einige jüngere Spieler dabei, die im Ranking um die 800 stehen.

Und für wie lange ist diese Trainingsgemeinschaft geplant?
Ich werd' das jetzt mal sicher ein Jahr so durchziehen. Danach sehen wir weiter.

Warum trainierst du nicht mehr bei Jürgen Waber?
Weil ich einfach das Gefühl hatte, dass nichts mehr weitergeht. Darum hab ich vor fünf Monaten die Zusammenarbeit beendet. Dass Daniel Köllerer und Lukasz Kubot bereits vorher gegangen sind, hat natürlich auch eine Rolle gespielt. Zbynek Mlynarik ist auch mehr in Amerika als bei uns gewesen, sodass zum Schluss eigentlich nur noch der Thomas Holzmann und ich da waren.

Sprechen wir über die abgelaufene Saison, ein Jahr mit vielen Höhepunkten. Welchen Moment hast du am positivsten in Erinnerung?
Spielerisch war sicherlich mein Challenger-Sieg in Sevilla im September das Highlight, ansonsten natürlich meine Einberufung ins Daviscup-Team gegen Australien.

…wo du für viele überraschend als vierter Mann nominiert worden bist. Du warst zu dem Zeitpunkt nur die Nummer zehn im ÖTV-Ranking. Wie hast du reagiert, als dir dein damaliger Trainer Jürgen Waber mitgeteilt hat, dass du im Aufgebot stehst?
Ich hab mir zuerst natürlich gedacht, dass er mich verarschen will. Ein schlechter Scherz, weil ich ja eigentlich auch gar nicht 100-prozentig fit zu dem Zeitpunkt war und noch mit einer Sehnenscheidenentzündung zu kämpfen hatte.

Aus dem Scherz wurde dann aber Ernst. Ein völlig neues Terrain für dich, oder?
Ja, ein Wahnsinn. Noch auf dem Wiener Flughafen hab ich meine allererste Pressekonferenz halten dürfen. So was kannte ich bislang nicht. Sensationell war auch das Captains’ Dinner in Sydney. Dort hab ich sogar kurz eine Rede halten dürfen, und die anwesende Tennislegende Rod Laver hat sich das ganze auch noch anhören müssen. Unglaublich.

Und gegen Todd Woodbridge, den mit 83 Titeln erfolgreichsten Doppelspieler aller Zeiten, hättest du dann beinahe für den Ehrenpunkt gesorgt.
Stimmt. Irgendwie ist alles ganz leicht gegangen, auch die Umstellung auf Rasen, vielleicht weil ich einen ganz guten Aufschlag habe. Die Chancen auf den Sieg waren sicher da, aber „angeblich“ hab ich dann bei 5:5 im dritten zwei Fußfehler gemacht. Diese zwei kritischen Entscheidungen haben mich ein wenig aus dem Konzept gebracht. Und der Woodbridge hat genug Routine, um so eine Partie dann zu gewinnen. Das Video von der Partie schau ich mir übrigens oft an, erst vor ein paar Tagen wieder.

Hat es dir Spaß gemacht, auf Rasen zu spielen?
Vor allem hat es mir Spaß gemacht, in so einer Arena spielen zu dürfen. Kein Vergleich mit den Turnieren, bei denen ich sonst immer gespielt hab.

GibtÂ’s auch ein Erlebnis in diesem Jahr, das du eher nicht so positiv in Erinnerung hast?
Ja, leider gibt’s so was auch. Meine bitterste Niederlage war in Manerbio, wo ich im Viertelfinale gegen Carlos Berlocq sechs Matchbälle verhaut und nach 3 Stunden 50 Spielzeit den Tiebreak im dritten mit 10:12 verloren hab. Man braucht nur schauen, wo der Berlocq damals gestanden ist (Anm. ATP-Ranking 130), und wo er heute steht (Anm. ATP 79). Für mich definitiv, auch wenn ich verloren habe, das beste Match meiner bisherigen Karriere.

Die erste Runde in St. Pölten gegen Österreichs Nummer eins Jürgen Melzer war sicher auch ein Highlight, oder?
Natürlich, gegen den Lokalmatador zu spielen, ist immer etwas Besonderes, egal wo. Noch dazu ist er die Nummer eins in diesem Land. Aber hätte ich’s mir aussuchen können, hätte ich schon lieber gegen einen Ausländer gespielt.

Wieso?
Weil ich auch gerne mal mit dem Publikum im Rücken gespielt hätte. Bei einem Turnier in der Heimat hätte ich mir schon gewünscht, dass die Leute auf meiner Seite stehen. Aber dass Jürgen unter einem immensen Erwartungsdruck stand, hab ich schon auch gespürt. Auch, weil er mir bereits beim zweiten Punkt die Faust gezeigt hat.

Nach deinem Turniersieg in Sevilla im September lief es plötzlich nicht mehr so rund. Du hast nur noch zweimal eine erste Runde überstanden. Was war da los?
Eigentlich wäre ja geplant gewesen, dass ich mit Oli Marach und Daniel Köllerer die Südamerika-Tour in Angriff nehme. Ich hab’ damals aber solche Probleme mit meinen Weisheitszähnen gehabt, dass ich nicht einmal vernünftig trainieren konnte. Und ohne anständiges Training hat’s eigentlich auch keinen Sinn, in der Höhe von Bogota ein Turnier zu spielen. Also hab ich mich dann entschlossen, stattdessen die Challenger in Aachen und Eckental zu spielen, obwohl Teppich nicht gerade mein Belag ist.

Was sagst du eigentlich zu den Leistungen von Oli und Däni in diesem Jahr?
Für mich war es nur eine Frage der Zeit, bis der Knoten platzt. Daniel hat ja gerade in Südamerika sehr erfolgreich gespielt, und auch Oli hat in diesem Jahr schon starke Gegner geschlagen. Ich halte es sicher für möglich, dass beiden im nächsten Jahr der Einzug in die Top 100 gelingt.

Und welchen Platz in der Weltrangliste peilst du im nächsten Jahr an?
Die Position im Ranking ist für mich eher nebensächlich. Denn wenn ich gut spiele und verletzungsfrei bleibe, kommt ein gutes Ranking sowieso von ganz alleine. Die Top 150 sollte ich aber schon jetzt drauf haben.

Du hast deine Schwächen mal mit Kondition und Beinarbeit angegeben. Gibt’s die noch?
Natürlich muss ich noch weiter dran arbeiten. Aber ich trainiere ja jetzt in Spanien, und da sind Kondition und Beinarbeit bekanntlich die großen Stärken. Das heißt, da wird sicher auch wieder was weitergehen.

Themenwechsel: Im Vorjahr hast du statt Kitzbühel lieber mit deinem deutschen Stammverein, dem Erfurter TC rot-weiß, zweite Liga gespielt. Jetzt seid ihr souverän in die sehr starke deutsche Bundesliga aufgestiegen. Wirst du im nächsten Jahr erstmals in Kitzbühel zu sehen sein oder doch lieber die Bundesliga-Auftaktrunde spielen?
Derzeit steht ja noch nicht einmal fest, ob sich die Termine tatsächlich wieder überschneiden werden, aber wenn, dann werd’ ich sicher für Erfurt spielen. Einzige Ausnahme wäre, wenn ich eine Wildcard für den Hauptbewerb in Kitz bekommen würde.

Wie startest du eigentlich ins Jahr 2006?
Ich werde mit meinen Trainingspartnern vom Camp nach Chile fliegen und ein paar Challenger und das ATP-Turnier in Vina del Mar spielen.

Ist der Daviscup für dich noch ein Thema?
Derzeit wohl nicht. Jürgen Melzer und Julian Knowle sind auf jeden Fall gesetzt. Dazu ist Stefan Koubek nach seiner Sperre im letzten Jahr jetzt auch wieder mit dabei. Der letzte freie Platz wird sicher entweder an Alex Peya, Oli Marach oder Daniel Köllerer gehen. Aber wenn ein Anruf kommt, bin ich natürlich sofort zur Stelle.

Der direkte Link zur Activity von Marco Mirnegg.

Interview: Markus Michel




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