Wolfgang Thiem: Der stille Erfolgstrainer

Er ist Österreichs Trainer der Stunde: NÖTV-Erfolgscoach Wolfgang Thiem ist der Mann hinter den bemerkenswerten Erfolgen von Tina Kandler. Wie er Kandlers Weg sieht und mit welcher Philosophie er Riccardo Bellotti, Stephanie Hirsch und Dennis Novak zu Erfolgen pusht, verrät er im Interview.

Die Schützlinge von Wolfgang Thiem, 37, Trainer im NÖTV-Team von Alfred Tesar, sorgten in den letzten Monaten für Aufsehen: Dennis Novak holte den Österreichischen U16-Meistertitel in der Halle, Riccardo Bellotti und Stephanie Hirsch wurden Österreichs U18-Meister, zuletzt spielte sich Tina Kandler mit zwei ITF-Turniersiegen und dem Semifinale beim Damen-Future in Wien ins Rampenlicht. Im Interview spricht der stille Erfolgstrainer über Tina Kandlers Qualitäten, über seine Erfolgs-Philosophie, wieso ein Trainer weder Handschrift noch Ziele braucht und warum er froh ist, seinen Sohn Dominic nicht selbst zu trainieren.

Wolfgang, Gratulation zu den Erfolgen deiner Schützlinge in den letzten Wochen und Monaten. Zufall, Glück oder das Ergebnis zielstrebiger Arbeit?

Von allem ein bisschen. Wobei sich die Erfolge der Tina schon abgezeichnet haben. Sie hat die Bereitschaft, absolut seriös zu arbeiten, sich für den Erfolg stundenlang zu quälen, Tag für Tag, da sind Erfolge fast eine logische Konsequenz. Aber dass sie als 14-Jährige auf dem Niveau von WTA-Spielerinnen um Platz 500 schon so gut mitspielen kann, das hat mich dann doch auch überrascht.

Tina hat sich in den letzten Wochen überhaupt in einen ziemlichen Lauf gespielt.

Das ist eine besondere Fähigkeit von ihr: Sie kann ein Momentum extrem gut nützen. Tina hat zuletzt 15 Matches in Folge gewonnen, darunter ihre ersten beiden ITF-Juniorentitel in Griechenland, sie hat fast schon das Verlieren verlernt. In Griechenland war sie in einem Match mit Satz, 1:5 und 15:40 hinten, in Wien letzte Woche mit Satz, 1:4 und 15:40. Und dann hat sie die Matches mit einer Selbstverständlichkeit umgedreht, hat sich in einen richtigen Spielrausch gespielt.

Kann man solche Eigenschaften als Trainer wecken oder fördern?

Die sind Ergebnis eines Umfelds, einer Erziehung, davon ist der Trainer nur ein Puzzlestein. Man sollte die Rolle eines Trainers nicht überschätzen, vor allem als Trainer nicht. Du hast die Aufgabe, einem jungen Spieler eine solide technische Basis zu geben, ihm Professionalität, Disziplin und Konsequenz beizubringen. Beim Rest, bei der individuellen Entfaltung seiner Fähigkeiten zum fertigen Spieler, begleitest du, unterstützt du, berätst du, ermahnst du. Ich hielte es nicht für richtig, wenn man versucht, einen Spieler zu „machen“.

Deine Schützlinge spielen auch sehr unterschiedliche Stile … ist Wolfgang Thiem ein Trainer ohne eigene Handschrift?

Ob ein Trainer eine eigene Handschrift hat, spielt doch keine Rolle. Wichtig ist, dass jeder Spieler, mit dem ich arbeite, der bestmögliche Spieler wird. Das heißt, dass er seine eigene Stärken, seinen eigenen Stil auf einer soliden, tragfähigen Basis entwickeln kann – für die Basis ist der Trainer verantwortlich, bei der Entwicklung hilft der Trainer nur mehr. Es wäre ja falsch, wenn ich den Rico Bellotti, der ein Riesenathlet ist mit tollem Aufschlag und einer Vorhand-Waffe, in dasselbe Schema pressen würde wie einen Dennis Novak, eine Tina Kandler oder eine Stephanie Hirsch. Nur ein schlechter Trainer schert alle seine Schützlinge über einen Kamm.

Welche nächsten Schritte soll die Entwicklung, zum Beispiel, der Tina Kandler haben?

Tina kann ihre Stärken noch besser einsetzen, wenn sie mehr Winkel spielt und sich traut, ihren druckvollen Grundlinienschlägen öfter nachzugehen. Das sind die nächsten beiden wichtigen Schritte, die hat sie aber zuletzt zum Teil schon zu setzen begonnen.

Was sagst du dazu, dass deine Schützlinge beim NÖTV in den letzten Monaten größere Erfolge gefeiert haben als die vergleichbaren Talente, die beim ÖTV arbeiten? Schließlich arbeitet ihr in der Südstadt ja Platz an Platz, also unter quasi gleichen Bedingungen. Man sollte meinen, dass beim ÖTV die größten Talente des Landes mit den besten Trainern arbeiten. Und dass dann entsprechende Erfolge erreicht werden.

Ich habe zum Glück genug damit zu tun, mir Gedanken über die weitere Entwicklung meiner eigenen Schützlinge zu machen. Beim ÖTV arbeitet man aber schon seit einiger Zeit sehr intensiv an Konzepten, die zu Erfolgen führen sollen.

Ist es nicht erstaunlich, dass ein Landesverband mit seinen Spielern größere Erfolge erreicht als die nationalen Top-Talente unter der Betreuung der ÖTV-Trainer?

Erstaunlich ist es, so gesehen, schon. Aber der ÖTV wird schon seine Gründe dafür haben, dass er so arbeitet, wie er arbeitet.

Gibt es einen Spieler beim ÖTV, mit dem du gerne selbst arbeiten würdest?

Einige sind sehr talentiert, in verschiedener Hinsicht, da ist sicherlich einiges an Potenzial vorhanden. Besonders gut gefällt mir aber Michi Eibl, der Steirer, ihn kenne ich auch am besten, weil er in derselben Altersklasse wie mein Sohn Dominic spielt. Michi hat ein Riesenherz fürs Tennis und die absolut richtige Einstellung.

Dein Sohn Dominic Thiem, seit kurzem österreichischer U16-Meister und Sieger eines ITF-Juniorenturniers, gilt als eines der größten Talente Österreichs. Würde es sich nicht anbieten, dass du selbst mit ihm arbeitest?

Theoretisch natürlich. Aber in der Praxis ist das kein Thema. Dominic arbeitet mit Günter Bresnik, etwas Besseres könnte Dominic nicht passieren.

Wie kamÂ’s zu dieser Zusammenarbeit?

Ich habe ja selbst früher bei Günter gearbeitet und habe in meinen drei Jahren bei ihm als Trainer extrem viel gelernt. Irgendwann hat er sich Dominic angeschaut … und hat ihn dann, im Februar 2005, als Tennisspieler quasi adoptiert.

War’s für dich nicht schwer, deinen Sohn jemand anderem anzuvertrauen?

Bei Günter nicht. Er ist als Trainer einfach eine Ausnahmeerscheinung: unglaublich erfahren, einerseits absolut konsequent, dann aber wieder kann er dich jeden Tag neu überraschen. Es ist für mich als junger Trainer tatsächlich eine Inspiration, wenn Günter am Nebenplatz arbeitet, ich kann von ihm immer noch viel lernen. Außerdem ist Günter seit bald 15 Jahren ein Freund von mir, also herrscht da absolutes Vertrauen. Was kann mir Besseres passieren, als dass ich weiß, dass mein Sohn mit so jemandem arbeiten darf?

Welche Ziele hast du als Trainer für deine eigene Karriere?

Das ist nicht so ein wichtiges Thema: Ein Trainer hat den Job, anderen dabei zu helfen, ihre Ziele zu erreichen. Ich fahre jeden Tag gerne in die Südstadt, arbeite dort mit meinen Spielerinnen und Spielern, so gut ich kann. So gesehen stecke ich mir jeden Tag ein Ziel: am Abend mit dem Gefühl heimzufahren, dass was weitergegangen ist.



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